<< zurück | Post ID # 21013 | 29.12.2024

# Wirtschaftskompetenz in modernen Zeiten

Vorsicht. Wer gern nur kurze Texte und Überschriften liest, wird hier enttäuscht 🙂

Wir haben uns die Mühe gemacht, eines der großen aktuellen Themen genauer zu betrachten, um uns auf die anstehenden Wahl-Diskussionen vorzubereiten. Das geht aber nur mit etwas Detailtiefe, denn wir brauchen mehr Analysen und Argumente. Also:

Wirtschaftskompetenz

Es geht immer wieder um “Wirtschaftskompetenz”, die in Deutschland quasi “historisch” vor allem der CDU und (mit einer großen “Delle” seit den jüngsten politischen Ereignissen) der FDP zugeschrieben wurde.

Aber ist das noch so?

Der Spiegel schreibt geradezu sarkastisch: “In Deutschland gilt als wirtschaftskompetent, wer der Wirtschaft möglichst viele Gefallen tut.

Das trifft es leider recht gut, denn “Wirtschaftskompetenz” ist ein gut bedientes “Narrativ”, eine Erzählung, eine Wortschöpfung, die uns suggerieren soll: “Hier hat jemand Ahnung von Wirtschaft.” Und das wird vor allem im konservativen Deutschland-Verständnis positiv wahrgenommen.

Gerade hinsichtlich der anstehenden Bundestagswahlen wird “Wirtschaftskompetenz” regelrecht als DAS herausragende Merkmal angeführt – am meisten, wenn es um das angebliche “Alleinstellungsmerkmal” des CDU Kanzlerkandidaten geht.

Und das macht ihn für viele interessant, denn Wirtschaftsfragen treffen uns alle sofort und ganz persönlich: In unseren “Ur-Ängsten” um Haus, Auto, Einkommen, Rente.

Aber – was brauchen wir für unsere wirtschaftliche “Sicherheit” in unserer modernen Welt? Gilt die altbekannten Form von Lobbyismus und Kapitalverstrickungen noch? Sind “harte Haushaltspläne” wirklich die Lösung in einem Spannungsfeld von Ökonomie, Ökologie und sozialem Handeln? Sieht so die Lösung für unsere persönlichen Probleme aus: “Das Ruder rumreissen”?

Natürlich nicht. Die Welt ist eine andere als noch vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten – und das muss auch in der “Wirtschaftskompetenz” berücksichtigt werden. Nur “etwas von Geld zu verstehen” genügt längst nicht mehr.

Schauen wir uns das einmal an:

Was ist “Wirtschaftskompetenz”?

Es gibt viele dicke Bücher dazu, aber keine rechtssichere Definition des Begriffes. Selbst der Duden kennt das Wort nicht.

Also schauen wir uns die Bestandteile an:

  • Wirtschaften ist der Umgang mit knappen Gütern und Dienstleistungen.
  • Kompetenz bedeutet Fachwissen.
  • Wirtschaftskompetenz wäre demnach der fachlich fundierte Umgang mit knappen Gütern und Dienstleistungen.

Schauen wir weiter – was sind knappe Güter und Dienstleistungen?

Wirtschaft unterliegt einem permanenten Wandel, der zum einen durch die äußeren Umstände und verfügbaren Güter, zum anderen durch Innovationen und gesellschaftliche Veränderungen geprägt ist. Wirtschaftswunder und “Deutschland AG” sind vorbei. In unserer modernen Welt muss wirtschaftliches Handeln vor allem Nachhaltigkeit bedeuten: Klimaschutz, Naturschutz, Tierschutz. DAS sind knappe Güter, denn ohne diese Komponenten gehen unsere Lichter schlichtweg aus (und wir spüren bereits die Konsequenzen der Vernachlässigung).

Siegmar Mosdorf, ehemaliger Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, hat es so formuliert: “Auch wenn die Menschen meist ihren Wohlstand mehren wollen und eine Art Kosten-Nutzen-DNA haben, rücken zunehmend gesamtgesellschaftliche Fragestellungen in den wirtschaftspolitischen Diskurs (…) Wirtschaftskompetenz definiert sich also nicht über eine möglichst eloquente Vertretung eigener, sondern über die rationale Vertretung gesamtgesellschaftlicher Interessen in einem komplexen internationalen Umfeld unter Beachtung der nicht nur dieser Generation anvertrauten Ressourcen.”

Und Harvard-Philosoph Michael J. Sandel geht noch weiter: “Die meisten Ökonomen ziehen es vor, sich nicht mit moralischen Fragen zu beschäftigten. (…) Doch die Ökonomen öffnen jetzt ihr Fachgebiet. In jüngster Zeit haben sie sich ehrgeizigere Aufgaben gestellt. Was die Ökonomie biete, sagen sie, sei nicht bloß eine Sammlung von Einsichten über Produktion und Konsum materieller Güter, sondern auch eine Wissenschaft des menschlichen Verhaltens.”

Wirtschaftskompetenz bedeutet also längst nicht mehr nur “guten Umgang mit Geld”. Es bedeutet, faire Verhältnisse zu schaffen, die langfristig für alle “gewinnbringend” sind (tatsächlich ganz aktuell im Sinne von schlichtem Überleben).

Werden wir konkreter – Wirtschaftskompetenz müsste sich aktuell befassen mit …

  • nachhaltiger, rohstoff-schonender Produktion von Waren
  • Verbesserungen im Transportwesen (bis hin zu öffentlichem Nahverkehr, der wirklich funktioniert und bezahlbar ist)
  • Unterstützung eines strukturierten Wandels der Arbeitswelt (Homeoffice, neue Arbeits-/Zeit-Modelle, neue Berufsbilder etc.)
  • Aus- & Weiterbildungsangeboten, die dem wirtschaftlichen Wandel angepasst sind
  • Schulsystemen, die es auch kommenden Generationen ermöglichen, das Leben zu “managen”
  • Rahmenbedingungen, die den Menschen vernünftiges Wohnen und Leben ermöglichen
  • Steuergesetzen, die eine nachhaltige und gesellschaftlich tragbare Ökonomie unterstützen
  • globalen Zusammenhängen statt Nationalismen, denn die Erde interessiert sich nicht für unsere politischen Grenzen
  • und im Zuge all dessen: Digitalisierungs- und Innovations-Förderung

Es gilt also, das ökonomische Gesamtsystem in eine Richtung zu steuern, die unser aller Überleben und soziale Gerechtigkeit sichert, sonst enden wir im Chaos.

“Wohlstand” definiert sich dabei schon lange nicht mehr nur durch Geld, sondern auch durch allgemeine, soziale und ökologische Lebensumstände. Das unterscheidet unsere heutige gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von denen vorheriger Wirtschaftssysteme.

Stattdessen soll uns durch die Medienmacher:innen der Wahlkampagnen immer noch das längst überholte Bild suggeriert werden, dass “Wirtschaftskompetenz” einen schicken Anzug trägt und ein Luxusauto mit gepanzerten Scheiben (warum wohl?) fährt. Dass “man(n) sich kennt” und die richtigen Kontakte hat um … ja, um WAS zu tun? Feiern? Verträge aushandeln, die noch mehr Geld auf ohnehin schon überfüllte Konten bringen?

Menschen, wacht auf. Das bringt Euch, das bringt DIR doch nun wirklich rein gar nichts.

Die Wirtschaftsmodelle, die noch vor wenigen Jahren galten, sind nicht mehr zeitgemäss. Es muss ein Umdenken erfolgen. DAS ist Wirtschaftskompetenz: Beweglichkeit im Denken, Einbeziehung neuer Fakten, Förderung von Innovationen, Umverteilung. Sozialere, globalere Modelle, die Ökonomie und Ökologie gleichermaßen berücksichtigen. Nur das ist zukunftsfähig.

Auf agora42.de – einem wirtschaftsphilosophischen Magazin – schreibt Prof. Reinhard Loske: >> Was einzelwirtschaftlich rational sein kann, etwa das unternehmerische Streben nach einer marktbeherrschenden Stellung oder die Externalisierung von Kosten, ist für die Gesellschaft insgesamt nicht akzeptabel, ja sogar schädlich. Was für ein Familienunternehmen oder einen Haushalt sinnvoll erscheinen mag, etwa die Schuldenfreiheit bzw. die ausschließliche Finanzierung von Investitionen aus selbst Erwirtschaftetem, kann für die Gesamtwirtschaft kritisch sein, weil es heute Notwendiges in die Zukunft verschiebt. Der erhebliche Modernisierungs- und Sanierungsstau in der Verkehrs-, Energie- und Kommunikationsinfrastruktur und im öffentlichen und privaten Gebäudebestand sowie der Zustand unseres Bildungssystems sind hierfür mahnende Beispiele. <<

Schlussendlich

Wer also “Wirtschaftskompetenz” wählen möchte, sollte andere Kriterien in Betracht ziehen, als nur “Der kennt sich mit Geld aus – und kennt die richtigen Leute.

Das ist Lobbyismus, sonst nichts. Lobbyismus ist grundsätzlich noch nicht einmal schlecht, aber immer dann problematisch, wenn es nur um Interessenvertretung für die geht, die “am besten zahlen”.

Diese Auffassung von “Wirtschaftskompetenz” vermehrt nur den Reichtum Einzelner, bringt der Gesellschaft insgesamt, bringt Ihnen / Dir und uns aber nichts. Im Gegenteil – es schadet unserer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und sozialen Zukunft.

Wenn es also um “Wirtschaftskompetenz” im Wahlkampf geht, hört genau hin, fragt genau nach. Lasst Euch – wie bei allem – nicht blenden und nichts unwidersprochen stehen. Informiert Euch, diskutiert Eure Ergebnisse (auch unsere!), seid kontrovers – habt wieder Spass an gemeinsamen Erkenntnissen und daran, die komplexe Welt um uns herum neu zu verstehen und mitzugestalten.

Es gibt keine einfachen, plakativen Lösungen. Und daher ist unsere einzige Empfehlung: Gebt Eure Stimme nicht denen, die das behaupten (“einfache” Lösungen zu haben). Genau die haben nämlich weder das Problembewußtsein noch die Lösungskompetenz.

Sandra
OMAS GEGEN RECHTS Nord (& Bund)
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