<< zurück | Post ID # 13062 | 21.03.2024

Gastbeitrag zum International Tag gegen Rassismus: “Alltagsrassismus – Stumme Diener, Unwörter und mehr”

Auch die Kategorie “OMAS schreiben” füllt sich nach und nach – wir bedanken uns für diesen Gastbeitrag von Madelen, der perfekt zum heutigen Internationalen Tag gegen Rassismus passt:

Alltagsrassismus: Stumme Diener, Unwörter und mehr

Wie findet ihr einen zusammengebastelten Kleiderständer, der mit afrikanischen Stoffen dekoriert ist und obenauf einen Kopf mit einem Gesicht trägt, der typische Merkmale schwarzer Menschen aufzeigt, ganz so wie sie uns aus der Kolonialzeit bekannt sind? Unwillkürlich assoziiert man diese Figur mit der Versklavung Schwarzen Menschen als Diener – eine Form der Belustigung, die befremdet und längst überholt sein sollte. Jener “stumme Diener” stand in den Räumen einer Nachbarschaftshilfe, angeboten zum Verkauf. Ich sah ihn während einer Lesung einer Schreibwerkstatt, war damals leider in diesem Rahmen unfähig, das rassistische Objekt anzusprechen.

Zu Weihnachten wurde in einem meiner Gruppenchats das Foto einer „Weihnachtsfrau“ aus Schokolade mit überdimensionierten Brüsten, geschnürter Taille, in roter Wäsche und roten Stiefeln, wie Prostituierte sie tragen, gepostet. Kommentar des alten weißen Mannes als Sender: “Die Weihnachtsfrau ist hier. Sexy und zuckersüß “. Die erste Antwort im Chat: “Und… schon genascht?” In dieser Gruppe hätte ich kein rassistisches Denken vermutet, engagiert man sich doch als afrikanische Trommelgruppe für eine Gesellschaft der Vielfalt.

Wo fängt Rassismus an und was kann man noch als Gedankenlosigkeit abtun?

Im ersten Falle war es vielleicht Gedankenlosigkeit. Alles, was Geld für die Nachbarschaftsinitiative bringt, wird zum Verkauf angeboten. Ich frage mich aber trotzdem, wer heute noch auf die Idee kommt, ein solches Werk zu zimmern und so zu dekorieren. Eine solche Darstellung darf es nicht mehr geben.

Im zweiten Falle hat einer die Frau aus Schokolade gekauft und fotografiert, um sich oder andere zu belustigen. Andere haben das Foto aus Gedankenlosigkeit weitergeleitet. Beides sollte niemand tun.

“Da fällt mir nix zu ein” war mein erster Kommentar. Nach weiteren verniedlichenden Kommentaren im Gruppenchat meldete ich mich erneut zu Wort: „Ich finde die Weihnachtsprostituierte überhaupt nicht lustig. Dieses Teil ist sexistisch und als Frau frage ich mich, warum man es kauft und das Foto mit diesem Kommentar verbreitet. Mit Naivität könnte ich sagen, „es ist nur Schokolade“. Aber als Mutter einer Tochter mit afrikanischen Wurzeln, sehe ich viel dunkle Haut und bei solcher Darstellung schwarzer Frauen bezeichne ich das Objekt als rassistisch. Es war immer meine größte Sorge, dass meine Tochter wegen ihrer Hautfarbe als Sexobjekt gesehen werden könnte und solche, in Gedankenlosigkeit verschickten und kommentierten rassistischen Fotos, heißen männliche Fantasien für akzeptabel. Macht et joot.”

Danach verließ ich Chat und Trommelgruppe.

„Mama, warum bist du deshalb aus der Trommelgruppe ausgetreten. Das hättest du doch auch kommunizieren können.”

Diese Situation war die zweite – nach meiner Meinung in ähnliche, überhebliche Richtung: Nachdem sich der afrikanische Trommellehrer zurückgezogen hatte, gab ich mein buntes, afrikanisches Hemd ab, weil ich ohne ihn (oder andere Afrikaner*innen) nicht in der Öffentlichkeit mit afrikanischem Outfit trommeln wollte. Ich hatte meine Bedenken der „kulturellen Aneignung“ zur Diskussion gestellt, konnte mich aber nicht durchsetzen. So handelte ich aus, wegen Freude am Trommeln, an den Proben teilnehmen zu können. Wahrscheinlich war ich wegen dieser Vorgeschichte sensibel, bezogen auf Anzeichen der Ermächtigung.

Es ist schwer, in alternativen Projekten mit netten Menschen subtilen Alltagsrassismus anzusprechen.

Das Ansprechen gelang mir im ersten Falle besser. Den ausgestellten „stummen Diener“ erkannte ich einen Monat später auf einem Post der Schreibwerkstatt bei Instagram wieder. Ich verfasste einen Kommentar und erreichte damit eine achtsame Veränderung:

„Hallo! Ich war vor einiger Zeit bei euch in einer Lesung. Super! Das Einzige, was mich an diesem schönen Abend störte, war das rassistische Produkt, welches auf dem Foto zwischen den beiden Männern zu sehen ist. Wie kommt jemand auf die Idee einen solchen „stummen Diener“, mit Merkmalen aus der Kolonialzeit heute noch zu bauen und auszustellen?“ Vielleicht könnt ihr mit den Verantwortlichen der Nachbarschaftshilfe ins Gespräch kommen. Sowas ist rassistisch und das Darbieten in Gedankenlosigkeit ein typisches Beispiel für Alltagsrassismus. Nichts für ungut. Ich sah das Foto und dachte, das geht nicht in unseren alternativen, weltoffenen Kreisen.“

Eine Stunde später, die erste Antwort der Schreibwerkstatt:

„Wie schön, es freut uns, dass dir unsere Veranstaltung gefallen hat. Danke für den wertvollen Hinweis. Da wir den Raum nur mieten, haben wir leider keinen unmittelbaren Einfluss auf die Einrichtung. Wir geben deine Anmerkung aber sehr gerne (und in der Sache absolut zustimmend) an die Nachbarschaftshilfe weiter.“

Drei Stunden später, die zweite Antwort der Schreibwerkstatt:

„Kleines Update noch, weil es uns am Herzen liegt: Wir haben uns jetzt gegenüber der Nachbarschaftshilfe für einen Austausch der Kunstwerke mit Kolonialbezug durch Werke ausgesprochen, die PoC selbstbestimmt präsentieren. Für unsere eigenen Veranstaltungen im Raum werden wir ab sofort dafür sorgen, dass die entsprechenden Werke für die Veranstaltungs- dauer entfernt werden und nicht mehr auf Fotos abgebildet sind.“

In der Folge berichtete mir eine Followerin bei Instagram als Reaktion auf die beschriebene Problematik in meinem Skript, dass sie in einer Gastronomie unserer Stadt zwei ein Meter große Figuren mit Bezug zur Kolonialzeit entdeckt hat. Die Schwarzen Frauen sind gekleidet wie Hausangestellte vor 100 Jahren. Die edlen Marmorfiguren halten beleuchtete Kronleuchter, die sie noch deutlicher in Erscheinung treten lassen. Angeregt durch meinen Post hat sie die Betreiber angemailt und um Austausch der Deko gebeten. In einer sehr langen, verteidigenden Mail rechtfertigen die Verantwortlichen ihre Deko als Gedenken und Erinnern an die Tradition der Kaffeekultur. Wir formulieren gerade an einer Antwort mit Verweis auf den Sklavenhandel von Westafrika nach Südamerika zum Aufbau der Kaffeeplantagen und nach Europa, wo drei bis vier afrikanische Hausangestellte als Statussymbol dienten. Im ausgewählten Link können sie Materialien für eine Gedenktafel finden. Wenn die Deko nicht ausgetauscht wird, gehört unserer Meinung nach zum Erinnern und Gedenken eine inhaltliche Erläuterung zur kolonialen Geschichte der Kaffeekultur.

Was ist denn so schlimm an solchen Darstellungen oder an diversen Begrifflichkeiten, die ich als Unwörter bezeichnen möchte?

Vor fast 20 Jahren verglich die örtliche Zeitung das Ausscheiden junger Bewerber*innen in einer Castingshow mit den „10 kleinen N…….“

Aufgrund eines Leserbriefes, in dem ich den unpassenden Bezug zu diesem rassistischen Kinderlied anprangerte und mir den Begriff als solches verbitten wollte, da ich niemals möchte, dass meine Tochter so genannt werden würde, wurde ich in einem Telefonat von einer anonymen Person als „N… hure“ beschimpft.

Ich wollte auf die gedankenlose Nutzung des Begriffs aufmerksam machen und wurde selbst Opfer einer rassistischen Beleidigung.

Lange Zeit hatte ich Angst, da die Redaktion meinen Namen und Wohnort unter den Leserbrief geschrieben hatte und sich nachweislich jemand die Mühe gemacht hatte, an meine Telefonnummer zu kommen. Ich wusste nicht, was folgen würde.

Was für ein Ohnmachtsgefühl! Bleibt es bei der Beleidigung per Telefon oder steht irgendwann jemand vor unserer Wohnungstür, der auch mein Kind beleidigt? Heute, 20 Jahre später war es mir ein Anliegen, dass meine Tochter diese Geschichte liest und einer Veröffentlichung zustimmt. Sie hat meine Sorgen und schützenden Handlungen damals nicht bemerkt. Wie erklärt man einem 12-jährigen Kind solche rassistischen Attacken. Ich wollte, dass sie möglichst unbekümmert aufwächst.

Dieses Ereignis ist nun 20 Jahre her und ich habe weder mein tiefes Entsetzen und meine schreckliche Sorge noch die Details des Leserbriefes vergessen. Das ist das Problem an Diskriminierungen: Auch wenn die meisten Menschen sich weltoffen verhalten oder hüten rechte Tendenzen in Form von Beleidigungen kundzutun: Es reicht, wenn eine rassistisch denkende Person ihre rechten Ansichten einem Menschen entgegen schmettert. Das trifft tief ins Herz und man vergisst es nie!

Nach 20 Jahren denke ich noch daran. Wie mag es People of Colour (PoC) gehen, die immer wieder rassistische Bedrohungen und Beschimpfungen ertragen. Wir sind eine bunte Gesellschaft, in der sich auch Hautfarben gemischt haben. Eine wunderbare Chance, gäbe es nicht immer mehr Bedrohung von RECHTS, von Menschen, die rassistische Vorurteile und Zuschreibungen nicht in Frage stellen.

Es gibt noch viel zu tun:

Ich möchte nicht über das N – Wort in Kinderbüchern stolpern und meinen Enkeln im Rahmen einer lustigen Geschichte von Pipi Langstrumpf ernste Erklärungen geben müssen, wie diskriminierend manche Begriffe sind. Deshalb bin ich dafür, dass sie aus Büchern, Filmen und überhaupt: verschwinden. Einfach nicht mehr benutzt werden.

Ich möchte auch nicht in Restaurants neben einer kolonialistischen Statue mit meinen Enkeln sitzen und ihre Kinderfragen dazu beantworten müssen. Diese Darstellungen von historisch dokumentierten Ausbeutungen sollten, egal wie wertvoll das Material ist, nicht mehr ausgestellt werden.

Kinder sind sehr aufnahmebereit für Haltungen, die sich in Reaktionen auf Worte, Witze und Werte zeigen. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder Kultur übergreifende und Kontinent übergreifende Erfahrungen machen, Menschen aus aller Welt kennenlernen und Interesse am Leben in anderen Kontinenten bekommen. Sie müssen es spüren: die Welt ist voller Vielfalt. Dies ist vor allem ein Auftrag an die pädagogischen Institutionen in unserem Land. Dort treffen sich mittlerweile Kinder aus aller Welt – eine große Chance.

In meinen letzten Berufsjahren darf ich eine Fachschulklasse mit Auszubildenden aus neun verschiedenen Ländern unterrichten. Diese Fachkräfte aus verschiedenen Herkunftsländern werden in Kindergärten und Schulen gebraucht. Die bunte Mischung unserer Gesellschaft muss sich auch im Kollegium einer pädagogischen Einrichtung wiederfinden, damit Kinder ihren Bezugspersonen Fragen zum „Leben in unserer aller Welt“ stellen können. Durch persönliche Bindungen und Freundschaften können wir langsam eine Gesellschaft der Vielfalt schaffen.

Es ist aber immer noch nicht selbstverständlich und eher selten, dass PoC Lehrer*innen, Schulleiter*innen oder andere Entscheidungsträger*innen werden. Und das nicht, weil Migrant*innen oder Afrodeutsche weniger Bildung hätten.  Das muss sich ändern. Niemand darf wegen seiner Herkunft und Hautfarbe benachteiligt werden.

Bei Diskussionen rund um dieses Thema äußerte ich, wie schwierig für mich beim Schreiben die adäquate Sprache und das Findung passender Begrifflichkeiten war. „Welche Begriffe nutzt du denn persönlich?“ wurde ich gefragt. Früher hätte ich von meiner farbigen, dunkelhäutigen Tochter gesprochen, heute spreche ich von meiner Tochter mit äthiopischem Vater oder afrikanischen Wurzeln.  Über die Hautfarbe spreche ich im Alltag gar nicht. Warum sollte ich? Meine beiden Enkel haben aufgrund ihrer äthiopischen, französischen, spanischen und deutschen Vorfahren einen unterschiedlichen Teint.  Der Älteste gleicht seiner Mama und der Jüngste vielleicht mir. Aus welchem Grunde sollten wir Worte finden, um einen Vergleich zu beschreiben? Ich mache mir eher Gedanken darüber, wie gefährdet die gesamte Familie durch rassistische Bedrohung von rechts ist. Darin sehe ich das Problem und engagiere mich bei OMAS GEGEN RECHTS!

Schwierig fand ich die Einführung des Begriffs PoC, da ich eigentlich keine allzu großen Sprachbarrieren einbauen wollte. Menschen, die rassistische Benachteiligungen erlebt haben, wollte ich als Schwarze Menschen oder PoC benennen, wie die Antidiskriminierungsbewegung es vorschlägt. In meiner Auseinandersetzung bin ich auf unterschiedliche Quellen gestoßen und die Begriffe, farbig oder dunkelhäutig werden als Begriffe aus der Kolonialzeit abgelehnt, Schwarze Menschen oder PoC sind gewünschte Bezeichnungen der Menschen, die es betrifft. Dann sollten wir sie auch so nutzen.

Vor 40 Jahren habe ich mit anderen Frauen dafür gekämpft, dass niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf: durch ungleichen Lohn, unterschiedliche Karrierechancen, Gewalt und Sexismus. Wir alle wissen, dass wir immer noch keine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern erreicht haben. Deshalb sollten wir alle und jederzeit wachsam sein für jegliche Form der Ungleichbehandlung von Menschen: wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, Hautfarbe, sexuellen Orientierung oder Behinderung und diese ansprechen: immer und immer wieder.

Nur so halten wir den Rechtsruck in unserer Gesellschaft auf.

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