Gastbeitrag: Es braucht jetzt die ganze Kraft für unsere Demokratie!
Wir haben einen Gastbeitrag von Paul Sachse erhalten und die Erlaubnis bekommen (Vielen Dank!), diesen hier inkl. seines Namens und seiner Bilder zu veröffentlichen. Wir denken, der Text spricht vielen aus der Seele. Wir wünschen alles Gute und arbeiten gemeinsam am Erhalt unserer Demokratie!
Moin,
nach dem ich nun tagelang sprachlos war, habe ich heute endlich Worte gefunden, um meinem Entsetzen Ausdruck zu verleihen. Diese Republik, dieses Europa ist nicht mehr wie zuvor. Es braucht jetzt die ganze Kraft aller Demokraten, damit unsere Freiheit, die wir bis zum heutigen Tag ganz selbstverständlich in Anspruch genommen haben, nicht endgültig verloren geht.
Mein Vater pflegte zu sagen: “Nur die dümmsten Kälber, wählen ihre Schlächter selber!“ Er konnte mir aber nicht erklären, warum auch gebildete Menschen so dumm sein können.
Im Übrigen ist mir diese Betrachtung zu gelassen. Ich bin so alt wie das Grundgesetz und habe die darin verbürgten Rechte und Pflichten respektiert und als mein Lebensglück erfahren. Mit viel Elan habe ich mich dort eingebracht, wo versprochene Rechte und Freiheiten noch Wirklichkeit werden mussten. Dazu gehörte u.a. die Relativierung des §218 und die Abschaffung des §175. Und wo die Rechte und Freiheiten bedroht waren, habe ich mich für deren Verteidigung stark gemacht. Mit 17 habe ich den ersten streitbaren Leserbrief meines Lebens geschrieben, der im „Badischen“ Tagblatt veröffentlicht wurde. Damals stellte sich die NPD zur Wahl. Die erwartbaren 9% für die Nazis schienen mir bedrohlich. In jenen Tagen unvorstellbar, dass ich dieses Ergebnis 60 Jahre später mit Erleichterung aufgenommen hätte! Dass ausgerechnet der Teil unseres Volkes, der statt einer sogar zwei Diktaturen durchleben musste, wohlwissend eine rechtsradikale Partei mit 40% gewählt hat, macht mich fassungslos.
In einem Augenblick, wo wir China und Russland geschlossen gegenüber treten müssten, wo uns der Schutz der Amerikaner verloren zu gehen droht, verraten uns ausgerechnet die „Nationalen“, an den Kriegsverbrecher von Moskau, der feixend im Kreml sitzt. In solch dunklen Stunden wünsche ich mir gelegentlich den „antifaschistischen Schutzwall“ zurück, der nun seinem Namen zurecht tragen würde!
Bei Lichte betrachtet wäre das jedoch ein hilfloses Unterfangen, denn die Sehnsucht nach Diktatur hat sich bereits in ganz Europa ausgebreitet. Es lässt mich verzweifeln, dass die Mandatsträger der demokratischen Parteien noch immer nicht begriffen haben, dass es jetzt nicht um ihre persönlichen Karrieren, sondern um das Überleben unserer Demokratie geht, in der wir unser Leben, unsere individuelle Freiheit 75 Jahre lang entfalten konnten.
Ich bin nicht mehr der Jüngste und mein Körper ist nicht mehr so belastbar wie einst im Bonner Hofgarten, in Gronde, Kalkar, Brokdorf, Altenwerder und an diversen anderen Orten. Aber eines kann ich den unbelehrbaren Verfassungsgegnern garantieren, ich werde diese Demokratie, in der die Würde des Menschen das zentrale Versprechen ist, mit all meiner Kraft, mit jedem Wort, mit jedem meiner Bilder, bis zum letzten Atemzug, verteidigen. Wer mir diese angeborene Freiheit nehmen will, muss mich zuerst auslöschen und ich werde mit dieser Haltung nicht alleine sein.
Paul Sachse